Bundesverfassungsgericht gefragt: Ist die Höhe der Aussetzungszinsen verfassungswidrig?
Das Bundesverfassungsgericht steht vor einer entscheidenden Frage: Ist der gesetzliche Zinssatz von 6 Prozent für Aussetzungszinsen verfassungswidrig? Der Bundesfinanzhof hat bereits Bedenken geäußert und fordert eine Neubewertung. Wir beleuchten die Hintergründe, die rechtlichen Rahmenbedingungen und die möglichen Auswirkungen auf Steuerpflichtige.
Für Aussetzungszinsen gilt ein gesetzlicher Zinssatz von 6 Prozent pro Jahr (0,5 Prozent pro Monat). Diese Höhe hält der Bundesfinanzhof für verfassungswidrig und hat daher das Bundesverfassungsgericht angerufen.
Aussetzungszinsen
Ein Einspruch und eine Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet: Der Steuerpflichtige muss die festgesetzte Steuer zunächst zahlen.
Auf Antrag soll aber eine Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für die betroffene Person eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese sogenannte Aussetzung der Vollziehung (AdV) ist in § 361 der Abgabenordnung (AO) geregelt.
Für den Steuerpflichtigen bedeutet das, dass er die Steuer zunächst nicht zahlen muss. Es droht aber eine Belastung mit Zinsen, wenn sein Rechtsmittel endgültig ohne Erfolg bleibt und er die Steuer »nachträglich« zahlen muss. Er hat dann nämlich für die Dauer der AdV und in Höhe des ausgesetzten Steuerbetrags Zinsen in Höhe von 0,5 Prozent pro Monat (6 Prozent pro Jahr) zu entrichten. Die Höhe dieser Aussetzungszinsen regelt § 237 in Verbindung mit § 238 Absatz 1 Satz 1 AO.
Nachzahlungs-/Erstattungszinsen
Es gibt allerdings auch andere Verzinsungstatbestände, zum Beispiel für Steuererstattungen und Steuernachzahlungen. Hier war der Gesetzgeber wegen eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 08. Juli 2021 verpflichtet, den Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat bzw. von 6 Prozent pro Jahr anzupassen. Da sich der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts allerdings nicht auf die Aussetzungszinsen und andere Teilverzinsungstatbestände erstreckte, wurde der Gesetzgeber nur bei den Nachzahlungs- und Erstattungszinsen tätig. Hier beträgt der Zinssatz seit dem 1. Januar 2019 nunmehr lediglich 0,15 Prozent pro Monat beziehungsweise 1,8 Prozent pro Jahr.
AdV-Zinsen: Bundesfinanzhof hält 6 Prozent pro Jahr für verfassungswidrig
Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs ist ein Zinssatz in Höhe von 6 Prozent pro Jahr für Aussetzungszinsen im Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum 15. April 2021mit dem Grundgesetz unvereinbar. Zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase ist dieser Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen.
Zudem werden Steuerpflichtige, die AdV-Zinsen schulden und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, seit dem 1. Januar 2019 ungleich behandelt. Diese Zinssatzspreizung ist für den Bundesfinanzhof verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
Quelle: BFH, Beschluss vom 8.5.2024, Az. VIII R 9/23; BFH, PM Nr. 34/24 vom 22.8.2024; BVerfG, Beschluss vom 8.7.2021, Az. 1 BvR 2237/14, Az. 1 BvR 2422/17
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