Ein ökonomischer Blick auf Öffnungszeiten
Apotheken in Deutschland haben im Schnitt rund 55 Stunden die Woche geöffnet. Während in der Vergangenheit die Zeiten eher ausgeweitet wurden, haben durch Corona viele Apotheken die Öffnungszeiten gekürzt. Dabei gilt es, zwischen Kundennutzen und wirtschaftlichen Zwängen abzuwägen. Wir werfen einen wirtschaftlichen Blick auf die Frage: länger auf oder früher zu?
Seit der Liberalisierung der Ladenschlusszeiten im Jahr 2006 ging der Trend im Handel vor allem in die Richtung, länger für die Kunden zu öffnen. Tatsächlich gibt es gute Gründe dafür. Immer mehr Kunden erwarten, auch zu frühen oder späten Zeiten einkaufen zu können. Verlängerte Öffnungszeiten der großen Handelsketten – aber auch von Arztpraxen – führen zu einer zeitlichen Verschiebung von Kunden- und Patientenströmen. Und das Internet mit der 24/7-Verfügbarkeit setzt Händler unter Druck, die eigene Präsenz auszuweiten.
Derzeit ist aber in der Wirtschaft ein Umschwung zu beobachten. Ausgelöst durch die Corona-Pandemie haben sich Kundenfrequenzen verringert, gleichzeitig haben Betriebe Personal verloren. So stellen sich viele Unternehmen heute die Frage: Gleicht der Umsatz in Randzeiten überhaupt die Kosten aus? Oder verteilen sich die Kunden bei kürzerer Öffnung einfach nur anders auf den Tag? Ist sogar der Verlust von wenigen Kunden verschmerzbar, wenn ich kürzer öffne? Oder leidet das Image der Apotheke – und damit langfristig der Kundenzuspruch – wenn die Öffnungszeiten eingeschränkt werden?
Befeuert werden diese Fragen von hohen Kosten und der Personalverfügbarkeit. Die gesetzliche Vorgabe, dass immer ein Approbierter anwesend sein muss, macht lange Öffnungszeiten per se teuer. Der Personalmangel in Apotheken stellt Inhaber vor die Frage, wie man überhaupt die vorhandenen Zeiten abdeckt – von längeren ganz zu schweigen.
Die ökonomische Bilanz der Öffnungszeit
Nähert man sich dem Thema mit dem Blick des Kaufmanns, kann man zunächst die Kosten und die mindestens nötigen Einnahmen je Öffnungsstunde betrachten. Beispiel 1 zeigt dies für eine durchschnittliche Apotheke.
Dabei werden im Beispiel drei Betrachtungsebenen getrennt:
- Um nicht kurzfristig Verluste zu machen, müssen mindestens die variablen Kosten, hier zusammen mit den Personalkosten, gedeckt sein. Dies ist der Fall ab 535 Euro Nettoumsatz je Stunde.
- Um auch langfristig keine Verluste zu machen, müssen alle Kosten gedeckt sein. Dies ist der Fall ab 800 Euro Nettoumsatz je Stunde.
- Will man darüber hinaus die Rendite einer durchschnittlichen Apotheke erzielen, müssen 1066 Euro Nettoumsatz je Stunde erzielt werden.
Frequenzanalyse hinzunehmen
Zusätzlich zu diesen Zahlen hilft eine EDV-Auswertung der täglichen durchschnittlichen Kundenfrequenz und Umsätze in Schritten von 60 oder 30 Minuten. Zusammen mit den für die eigene Situation errechneten Umsätze je Öffnungsstunde gewinnt man entscheidende Erkenntnisse.
Erstens bemerkt man eine »Mischkalkulation«, wo kundenstarke Zeiten kundenschwache subventionieren. Denn es gibt kritische Zeiten: Dies sind die, in denen nicht mal Personal- und variable Kosten gedeckt sind, also wo im Beispiel weniger als 535 Euro je Stunde erlöst werden. Dies werden vor allem Randzeiten morgens und abends sowie die Mittagszeit sein. Dadurch erhält man einen ersten Hinweis, ob man Öffnungszeiten ausweiten oder einschränken sollte. Hier sollte man weiter rechnen, wie in Beispiel zwei.
Zweitens erkennt man, an welchen Zeiten und an welchen Tagen die Frequenz am stärksten und schwächsten ist. Dies kann man nutzen, um den Personaleinsatz zu optimieren, indem man den Dienstplan und die Aufgabenverteilung anhand der Kundenfrequenz sowie kundenferner Arbeiten geschickt neuformuliert. Zum Beispiel kann der HV-Einsatz neu aufgeteilt (Richtschnur 10 bis 12 Kunden je Bediener und Stunde), Zeitblöcke für Rezeptur, Labor, QM, Büro, et cetera reserviert oder zeitlich flexible Tätigkeiten konsequent in kundenschwache Zeiten verlegt werden.
Drittens sollte man, wenn man Öffnungszeiten geändert hat, die neue Kundenfrequenz mit der früheren vergleichen. So wird deutlich, ob sich Kundenströme nur verschoben haben oder man effektiv Kunden gewonnen/verloren hat. Daraus kann man abschätzen, ob die Patienten vor Ort geänderte Öffnungszeiten akzeptieren oder nicht. Auch hierzu folgt ein Beispiel am Ende des Beitrags.
Kritische Zeiten näher beleuchten
Der Vergleich der nötigen Umsätze je Stunde mit der Frequenzanalyse gibt erste Hinweise auf kritischen Zeiten. Im Beispiel 1 ist jedoch unterstellt, dass der Personaleinsatz linear über den Tag verteilt ist. In der Praxis wird aber bei weniger Kunden auch weniger Personal eingesetzt. Daher sollte man feiner rechnen, wie in Beispiel zwei mit fiktiven Zahlen gemacht.
Wie das Beispiel zeigt, hängt die Entscheidung »Länger auf oder früher zu?« vor allem von zwei Faktoren ab. Zum einen, in welchem Maß sich bei früherer Schließung die Kunden auf andere Zeiten umverteilen und so Umsätze und Rohgewinne gehalten werden. Zum anderen, ob die freien Personalressourcen kosten- oder erlösseitig anders eingesetzt werden können. Gibt es andere Tätigkeiten, in denen die Mitarbeiter eingesetzt werden können? Scheiden Mitarbeiter aus oder können Zeiten verringern? Werden Überstunden vermieden? Wird über Neueinstellungen oder nicht nachgedacht? Werden die Kräfte in kundenstarken Zeiten benötigt?
Für das Beispiel 2 heißt das:
Sind die freien Zeiten nicht kompensierbar, so sollte die Apotheke weiter geöffnet sein, da nur die variablen Kosten wegfielen. Kann der Personaleinsatz aber sinnvoll angepasst werden, wäre die wirtschaftlich beste Entscheidung, früher zu schließen.
Wie verhalten sich die Kunden?
Wer aus betriebswirtschaftlichem Kalkül die Öffnungszeiten angepasst hat, bekommt jetzt die Chance, anhand der Kundenfrequenzanalyse abzuschätzen, ob diese Maßnahme zu realen Kundenverlusten oder zu zeitlichen Verschiebungen geführt hat. Folgendes Beispiel soll dies verdeutlichen.
Nehmen wir an, eine Apotheke hat eine Mittagspause von 12.30 bis 14.30 Uhr neu eingeführt. Die Kundenfrequenzanalyse zeigt, dass früher in diesen zwei Stunden durchschnittlich 25 Kunden kamen, dies wären bei 200 regelmäßigen Tageskunden 15 Prozent. Vergleicht man dies mit den heutigen Kundenzahlen mit Mittagspause lässt sich abschätzen,
- in wie weit die Kunden die Änderung akzeptieren. Je weniger die Mittagsschließung für die Kunden akzeptabel ist, desto eher wird es einen Kundenrückgang nahe den 15 Prozent oder sogar darüber geben. Beobachtet man jedoch weitgehend stabile Kundenzahlen, so ist die Änderung für die Kunden anscheinend kein Grund, die Apotheke zu wechseln.
- ob sich Kundenströme verschoben haben. Dazu schaut man sich die Zeiten direkt vor und nach der Mittagspause an. Beobachtet man hier Anstiege, so zeigt dies, dass die Kunden sich auf die neue Situation eingestellt haben und einfach vor und nach der Pause in die Apotheke kommen.
Die Erkenntnisse aus dem Kundenverhalten geben zusammen mit den ökonomischen Überlegungen eine sinnvolle Entscheidungshilfe, ob sich frühere Schließung oder längere Öffnung lohnen und ob derzeit getroffene Maßnahmen beibehalten werden sollten oder nicht. Die abschließende Tabelle gibt Orientierungshilfen, welche Öffnungsstrategie wann sinnvoll ist.
Das könnte Sie auch interessieren
- Vorsorge für den Notfall: Diese Vorkehrungen sollten Apotheker treffen
Wenn der Inhaber einer Apotheke erkrankt oder stirbt, müssen die Angehörigen in kurzer Zeit wichtige Entscheidungen über die Zukunft des Betriebs treffen. Gut, wenn der Selbstständige rechtzeitig Vorkehrungen getroffen hat. Welche das sein...
Erfahren Sie mehr - Ratgeber für Notfallvorsorge in der Apotheke
Wie bereitet man seine Apotheke auf einen flächendeckenden Stromausfall richtig vor? Ein Ratgeber für die Notfallvorsorge.
Erfahren Sie mehr - Die hohe Inflation und ihre Auswirkungen auf Apotheken
Was hat es mit der Inflation auf sich? Welche Auswirkungen hat sie und wie kann sie gesteuert werden? Diese und noch mehr Fragen beantwortet Diplom-Ökonom Guido Michels.
Erfahren Sie mehr - Belegausgabepflicht: Chancen und Auswirkungen für Apotheker
Welche Auswirkungen und Chancen bietet die Belegausgabepflicht, welche auch als »Bonpflicht« bezeichnet wird, in der Praxis? Steuerberaterin Caterina Zeh klärt auf.
Erfahren Sie mehr