Betriebsaufgabe/-veräußerung: Verbrauch des ermäßigten Steuersatzes auch ohne Antrag
Der ermäßigte Steuersatz bei Betriebsaufgabe oder einer Betriebsveräußerung kann nur einmal im Leben genutzt werden. Deshalb sollten Gewerbetreibende bei ihrer Steuerfestsetzung besonders auf ein Detail achten.
Wird ein Gewerbebetrieb veräußert oder aufgegeben, kann der Steuerpflichtige die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes beantragen, wenn er das 55. Lebensjahr vollendet hat oder im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig ist. Diese Steuerermäßigung kann aber nur einmal im Leben beansprucht werden. Die Vergünstigung ist selbst dann verbraucht, wenn sie das Finanzamt zu Unrecht und ohne Antrag des Steuerpflichtigen gewährt hat. In einer aktuellen Entscheidung hat das Finanzgericht Hamburg die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bestätigt.
Sichtweise des Bundesfinanzhofs
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist eine antragsgebundene und nur einmal zu gewährende Steuervergünstigung für die Zukunft auch dann verbraucht, wenn sie vom Finanzamt zu Unrecht gewährt worden ist. Entscheidend ist allein, dass sich die Vergünstigung auf die frühere Steuerfestsetzung ausgewirkt hat und sie dort nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Will sich der Steuerpflichtige die Möglichkeit vorbehalten, die Vergünstigung in einem späteren Jahr zu beanspruchen, muss er die Steuerfestsetzung anfechten, in der ihm die Vergünstigung zu Unrecht gewährt worden ist.
Der Bundesfinanzhof nimmt einen Verbrauch der Vergünstigung selbst dann an, wenn kein begünstigungsfähiger Veräußerungsgewinn vorgelegen hat, der ermäßigte Steuersatz also schon mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht hätte gewährt werden dürfen. Maßgeblich ist allein, dass der Steuerpflichtige den ihn begünstigenden Irrtum des Finanzamts erkennt und billigt.
Der Steuerpflichtige braucht sich die rechtswidrige Gewährung der Vergünstigung in einem Vorjahr nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nur dann nicht entgegenhalten zu lassen, wenn für ihn angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung sowie des Fehlens eines Hinweises im Bescheid nicht erkennbar gewesen ist, dass das Finanzamt die Vergünstigung ohne den erforderlichen Antrag gewährt hat.
Urteil des Finanzgerichts Hamburg
Das Finanzgericht Hamburg hat die Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesfinanzhofs jüngst bestätigt. Im Streitfall wurde die Steuerermäßigung bei der Einkommensteuerfestsetzung für 2014 ohne Antrag berücksichtigt. Die gewährte Steuerermäßigung war aus dem Steuerbescheid für den Steuerpflichtigen erkennbar.
Der geänderte Bescheid erging zur Umsetzung eines Grundlagenbescheids. In den Erläuterungen erhielt er keinen Hinweis auf die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes. Bei den Besteuerungsgrundlagen übernahm der Bescheid den im Feststellungsbescheid ausgewiesenen Veräußerungsgewinn des Steuerpflichtigen bei dessen Einkünften aus Gewerbebetrieb aus Beteiligungen. Bei der Berechnung der Steuer wurde die Anwendung des Splittingtarifs und die Anwendung des § 34 Abs. 3 EstG (ermäßigten Steuersatzes) ausgewiesen.
Dies reicht, so das Finanzgericht Hamburg, aus, um erkennbar zu machen, dass der ermäßigte Steuersatz angewandt worden ist. Somit bestand Anlass, sich gegen die ohne Antrag erfolgte Anwendung mit einem Einspruch oder Änderungsantrag zu wenden, um sich die Möglichkeit einer späteren Gewährung des ermäßigten Steuersatzes zu erhalten.
Betriebsaufgabe oder -veräußerung: Steuerbescheide auf ermäßigten Steuersatz prüfen
Haben Steuerpflichtige wegen mehrerer Betriebe und/oder gewerblicher Beteiligungen die Möglichkeit, ihr Wahlrecht nach § 34 Abs. 3 EStG »entweder – oder« auszuüben, gilt Folgendes: Steuerbescheide, in denen das Finanzamt Veräußerungs- oder Aufgabegewinne berücksichtigt, sind insoweit zu überprüfen, ob das Finanzamt den ermäßigten Steuersatz ohne Antrag (also »von Amts wegen«) gewährt hat. Ist dies der Fall, muss gegen den Bescheid Einspruch eingelegt werden, um sich die Ausübung des Wahlrechts für einen künftig anfallenden begünstigten Gewinn offenzuhalten.
Quelle: FG Hamburg, Urteil vom 12.6.2024, Az. 1 K 141/22; BFH-Urteil vom 28.9.2021, Az. VIII R 2/19